Acrylamid, “schmackhafter Selbstmord auf Raten”. Mit jedem superdunklem-Handwerks-Brot nimmt man höhere Acrylamid-Mengen ein, als in zehn industriell gefertigten Laiben zusammen. Vier- bis Sechsmal so viel kostet ein solches Brot und die Acrylamidmenge in der Kruste übersteigt die empfohlenen Signalwerte mitunter um das Hundertfache. Eine tickende Zeitbombe für Liebhaber echter „schwarzer Krustenbrote“?
Wie kann das sein und warum sind solche Produkte frei verkäuflich. Krebs im freien Zugriff der Verbraucher? Warum schreitet der Gesetzgeber nicht ein? Wo bleibt die Lebensmittelkontrolle auf der Strecke und warum?
Nun bin ich ja der Verfechter reiner Ursprünglichkeit, handwerklicher Herstellung und naturbelassener Produkte oder einer glockenklaren Kennzeichnung wenn davon abgewichen wird.
Egal ob nun Bierbrauen, Getreide verarbeiten, Speisen zubereiten oder Brot backen. Klare Kennzeichnung, Gefahrenhinweise sofern Risiken bestehen, Angabe der Inhaltstoffe. Verbote bei Produkten die Leib und Leben gefährden. Die Sache hat einen Haken.
Handwerk-Ofenfrisch-Tödlich?
Handwerksbetriebe unterliegen Ausnahmeregelungen, welche in keinster Weise nachvollziehbar sind, und den Gedanken naturbelassener Produkte und Herstellungsverfahren zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit machen. Sei dies nun im separaten Weingesetz, bei der Bier- und Malzherstellung oder eben bei kleinen Handwerksbetrieben.
Geschmacklich sind die stark gebräunten, an der Oberfläche „verbrannten“ Krustenbrote, der sensorische Overkill, geniale Röstaromen die durch eine kurze Aromastufe mit höchsten Temperaturen zu einem phantastischen Hammergeschmack werden. “Ich liebe es” wird da zur bejubelten Verlautbarung vieler begeisterter Brotfreaks. Ich nehme mich da nicht aus. Ganz im Gegenteil: Mehr davon schreien alle meine Sinne wenn ich eines dieser traditionell handgefertigten Geschmacksbomben in die Finger bekomme. man sieht es mir an: Ich bin ein Geniesser.
Sensorik-Overkill mit Sprengkraft
Jeder, der diese Brote verzehrt will mehr davon. Zu Recht fragen sich die Käufer dieser organoleptischen Granaten: „Warum bekommen das denn nicht die IndustriebäckerInnen hin?“. Ein Teil der Antwort: Sie dürfen es nicht bzw. die Turbo-Triebmittel-BäckerInnen werden entweder kontrolliert oder müssen selbst nachweisen, dass ihre Produkte die zulässigen Schwellen- und Signalwerte nicht übersteigen. Das ist auch gut so. Tun Sie es, dann müssen die regionalen PowerbäckerInnen gegensteuern. Also ist alles darauf getrimmt immer schön an den “Grenzwerten” entlang zu produzieren.
Acrylamid ist immer noch nicht im Blickfeld der Verbraucher angekommen, wie mir scheint. Hochpreisige Produkte sind kein Garant für Lebensmittelsicherheit. Kenntnis, Wissen, Erfahrung und Kontrolle sind der Schlüssel für sichere und gesunde Produkte. Der Brotkenner und Liebhaber schwört auf ein handwerklich hergestelltes Produkt. Gesundheit sieht jedoch anders aus.
Acrylamid entsteht bereits bei 120°C
Eine nachweisbare Acrylamidbildung beginnt bereits bei lauen 120 °C und steigt bei den bei Backvorgängen erreichten Temperaturen von 170–180 bis 280 °C sprunghaft an. Die äußeren trockenen Schichten oder auch Brotkrusten enthalten hierdurch deutlich höhere Mengen Acrylamid als die nicht gebräunten inneren Bereiche. Das macht Sinn. Meine Braten sehen innen auch nicht aus wie außen. Deshalb heißt der Braten wohl auch Braten und nicht Suppenfleisch.
Weizentoast statt Roggenkruste?
Bei all diesen Verfahren führt die Maillard-Reaktion, also der komplexe Bräunungsprozess unter Hitzeeinwirkung, zur Bildung von Acrylamid, insbesondere aus der Aminosäure Asparagin in Verbindung mit den enthaltenen Zuckern wird so der Krebsverdächtige. Roggenmehl hat beispielsweise einen bedeutend höheren Anteil an Asparagin als Weizenmehl. Von daher ist ein Weizentoast hinsichtlich Acrylamid eigentlich die bessere Wahl. Leider wird dieser Vorteil im „Toaster“ eliminiert, je dunkler dieser Bräunungsvorgang endet, desto höher fallen die “Schadstoffmengen” dann wieder aus.
Helle Roggenbrote könnten durchaus niedrige Werte aufweisen, doch dann wäre der Geschmackserlebnisvorteil hinfällig.
Richt-, Signal-, Grenzwerte -was gilt?
In den letzten Jahren wurden von den Behörden in Deutschland sogenannte “Signalwerte” erarbeitet. Auf europäischer Ebene folgten „Richtwerte“ in Anlehnung an die deutschen Signalwerte. “Beide bedeuten im Gegensatz zu Grenzwerten, dass eine Überschreitung keinen automatischen Rechtsverstoß, geschweige denn die Feststellung einer Gesundheitsgefahr, bedeutet”, so jedenfalls die zulässige Interpretation von verbandsbeauftragten Juristen.
Vielmehr löst die Überschreitung von Signalwerten lediglich die “Aufforderung an den Lebensmittelunternehmer” aus, den Produktions-prozess näher unter die Lupe zu nehmen und zu ergründen, wie es zu der Überschreitung gekommen ist.
Ein echtes Gesundheitsproblem
Nach umfassenden Auswertungen, Diskussionen und Verbändeinterventionen und Abschwächungsversuchen durch die Branchen-Lobby stufte die EFSA als EU-Gremium für Lebensmittel-sicherheit Acrylamid trotzdem als „potenziell krebserregend“ ein.
Die EFSA machte das Vorsorgeprinzip geltend: Acrylamid sei künftig nach dem ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable = so niedrig wie vernünftigerweise machbar) zu handhaben.
Das ALARA-Prinzip als Schlüssel
Tatsächlich stellen in Europa Deutschland und speziell die Länder Nordeuropas zusätzlich noch Exoten dar, weil sie Roggen als weiteres Brotgetreide verwenden. Der Verband Deutscher Großbäckereien setzte durch: dass vor allem für Roggen- und Dinkelbackwaren die neue Kategorie „Brot auf Basis anderer Getreide als Weizen“ eingeführt wurde, für die der ursprüngliche Acrylamidsignalwert von 150 µg/kg beibehalten wurde. Für Brote auf Basis von Weizen wurde der Wert wie geplant auf 80 µg/kg abgesenkt.
Acrylamid ist kanzerogen – so der EU-Abgeordnete Dr. Peter Liese „gefährlicher als Fipronil, Glyphosphat oder Diesel-Stickoxide“. Die chemische Maillard-Reaktion aus Aminosäuren mit reduzierenden Zuckern ist für Bräunungsreaktionen beim Backen oder Frittieren verantwortlich – und auch für die dadurch entstehenden leckeren Röstaromen. Das macht die Sache einfach und schwierig gleichermaßen. Ohne hohe Temperaturen entstehen die charakteristischen Aromen nicht, bzw. nicht in voller Ausprägung. Es entsteht ein “anderes”, ein belangloses Produkt, der Reiz geht verloren und auch der Teig braucht “zum Hochziehen” am Anfang hohe Temperaturen im Ofen, teils von 270-280 Grad. Sonst bleibt der “Teigklumpen” zu flach für ein schön gehobenes Krustenbrot.
Gefährlicher als Glyphosat & NO-X
Dr. Peter Liese, CDU-Europaabgeordneter und Arzt äussert sich positiv zu den seit 2018 geltenden strikteren Vorgaben hinsichtlich Acrylamid. Seiner Ansicht nach ist Acrylamid wesentlich gefährlicher als das aus dem Eier-Skandal bekannte Fipronil, das Pflanzenschutzmittel Glyphosat oder auch die derzeit heftig verteufelten Stickoxide der Dieselfahrzeuge. „Im Gegensatz zu den vorgenannten Stoffen ist es in der Wissenschaft so gut wie unumstritten, dass Acrylamid in den Dosen, welche viele Menschen zu sich nehmen, das Risiko erhöht, an Krebs zu erkranken“, erklärte der Mediziner bereits im April 2018 in der Ärztezeitung. Liese sieht in Acrylamid ein „echtes Gesundheitsproblem“.
Beeinflussen lässt sich die Höhe des Acrylamids auch durch die Auswahl des richtigen Getreides, der richtigen „Sorte“, das kann den Gefahrstoff in Backwaren reduzieren. Nicht jede Weizensorte entspricht der Nächsten, genetisch bedingte Unterschiede sind die Ursache hierfür. Züchtungen haben sich bislang auf Themen wie Ertrag, Verarbeitung, Mehlanteil und Resistenzen beschränkt. Acrylamid könnte zum Umdenken führen.
Die Getreidesorten und Müllerei haben somit ebenfalls einen großen Einfluss auf die Menge Acrylamid, die im Brot steckt. Bis zu 70% Reduktion wären so möglich, doch die Wahl der Sorte ist eine reine Forschungswahrheit. In der Praxis spielen diese Möglichkeiten keine Rolle.
Acrylamid gilt als potentiell krebserregender Stoff, der bei starker Hitzeeinwirkung in stärkehaltigen Lebensmitteln entsteht – so auch beim Backen von Brot und anderem Gebäck. Dieses Problem besteht.
Die Maillardreaktion hat es in sich
Die Maillardreaktion sorgt für eine tolle Kruste aber auch für das krebsauslösende Acrylamid.
Im April 2018 senkte die EU Kommission die Richtwerte für Acrylamid in Lebensmitteln weiter ab, in Weizenbrot von 80 auf 50 Mikrogramm und in Roggenbroten von 150 auf 100 Mikrogramm.
Eine definierte Sortenauswahl beim Mehl, bzw. Getreide könnte somit das Acrylamid-Risiko um 50 – 70 % reduzieren. Die Asparaginwerte schwanken zwischen 140 bis 450 mg pro kg Vollkornmehl, so die Ergebnisse von Reihenuntersuchungen in Hohenheim.
Insofern sind gerade in der Vollkornbäckerei andere Strategien zur Reduktion von Acrylamid gefordert. Neben der Wahl einer geeigneten Getreidesorte ist das nämlich auch durch Schwefeldüngung der Getreidefelder, verlängerte Teigruhe und der Vermeidung zu langer hoher Hitze beim Backen erwünscht und ohne Qualitätsbeeinträchtigung möglich.
Vermeidungsstrategien sind möglich
Bewährte Strategien: lange Ruhezeiten für Teig und geringere Hitze beim Backen Für den Hausgebrauch bietet die Wissenschaft aber auch einfachere Lösungen an, um den Giftstoff zu vermeiden. So haben die Lebensmitteltechnologen aus Hohenheim etwa festgestellt, “dass Brot aus Umluftbacköfen wegen der schnelleren Abtrocknung der Teigoberfläche und der intensiveren Krustenbildung zu einem höheren Acrylamidgehalt führt”.
Doch gerade hier liegen die Probleme in der Umsetzung: Geschmackserlebnis versus Gesundheit, die Frage muss augenblicklich der Verbraucher selbst beantworten, da die gesetzlichen Regelungen tendenziell einem “Empfehlungscharakter” folgen. Lobby-Arbeit und Verbändeinterventionen machen solche “Weichspül”-Vergaben möglich.
Aber auch Privat kann einiges zur Vermeidung von hohen Acrylamidmengen getan werden. Nicht nur durch bewusste Auswahl von hellerem Brot, sondern auch bei eigenen Zubereitung von Speisen. Einfach mal dem LINK unten folgen…
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Meinung, Text und Fotos: Jörg Friedrich Faulhaber
Weiterführende Quellen: